Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2001) (100)

des eigenen Giftes fiebrige, fortschrittshörige Nat- ter, der andere, nach reichlicher Diskussion im Kreise besonnener und erfahrener Männer in ge- hobener Atmosphäre verfasste, Nach- wie Vorwelt dienliche, endgültige Statutentext. Was fällt uns auf? Vorerst nichts. Abfolge und Wortlaut von Para- graph zu Paragraph, von Satz zu Satz scheinen identisch und nähren den Verdacht einer harmo- nisch verlaufenen Statutendiskussion. Nicht einmal der im Entwurf angeregte Jahresbeitrag von vier Kronen österreichischer Währung wurde von Ver- mögensverwalterseite moniert und selbst der Vor- schlag, jeder «unbescholtene In- und Ausländer» könne Mitglied werden, wurde keiner zweiten Prü- fung durch das gesunde Volksempfinden unterzo- gen. Und doch: es gab sie. Die Disharmonie. Der wahre Konsens steckt oftmals im Detail. Lesen wir nach im Paragraph 2, Absatz c), in welchem ein letzter Posten aufgelistet wird, den das geplante Historische Jahrbuch enthalten sollte. Der Entwurf sah vor: «Eine vollständige Sammlung aller noch vorhande- nen, unser Land und unsere Gemeinden betreffen- den wichtigeren Urkunden von den ältesten Zeiten an.» Die letztlich abgesegneten Statuten schrieben vor: «Eine thunlichst vollständige Sammlung aller noch vorhandenen unser Land und unsere Gemeinden betreffenden wichtigeren Urkunden von den älte- sten Zeiten an.» Hier also wurde Bruder Heisssporn endlich in seine Grenzen gewiesen! Aus dem historiofundamen- talistischen Hochmut, dem ikarischen Imperativ sozusagen, eine «vollständige Sammlung» zu errei- chen, wird nun, unter dem heilenden Einfluss real- historischer «Freunde der Geschichte» eine «thun- lichst», eine möglichst «vollständige Sammlung», wenn möglich. Hier zeigt sich nun der erfahrene Meister im Umgang mit dem Gedächtnis eines Volkes. Und wenn es nur ein kleines ist! 
Vollständigkeit kann in einem kleinen Staat wie dem unseren nie erreicht werden, weil Vollständig- keit gar nie erwünscht wird. Weil Vollständigkeit zu Transparenz führt. Wird die Geschichte gläsern, zerbricht sie! Wird sie einem klar, spiegelt sich in ihr das Ich und nicht mehr das Kollektiv. Mit allen seinen Mythen. Und die haben wir doch bitter nötig. Helden und Bösewichte. Sieger und Verlierer. Weil wir von ihnen mehr lernen als aus wissen- schaftlichen, um eine vermeintliche Objektivität bemühten Dissertationen, Vorträgen und Gutach- ten. Der Kleinstaat versagt sich jedem objektiven Gehabe. Der Kleinstaat steht zur Subjektivität. Sie ist 
Salz und Sellerie in seiner Suppe und rechtfer- tigt den dem Kleinstaatler eigenen Wankelmut, sei- ne Lust zu Denkzetteln und Leserbriefen und die Freude am alkoholischen Rausch. Objektivität und Transparenz in ihrer letzten, pervertierten Konsequenz haben «thunlichst» zu unterbleiben. Das wussten die Alten und das wis- sen wir. Und die, dies damals noch nicht wussten, musstens lernen. Aber das nur nebenbei. Natürlich verlangte eine solche einschneidende, elementare Änderung im Konzept der Gründer- väter ein Entgegenkommen der Gründerfamilie. Eine Konzession. Und die wurde gewährt. In Para- graph 7: Hiess es im Entwurf noch: «Der Verein wählt aus seiner Mitte einen Vorstand, bestehend aus einem Präsidenten, einem Aktuar, einem Quästor und zwei anderen Mitgliedern», so durfte man nun in den offiziellen Statuten schrei- ben: «Der Verein wählt aus seiner Mitte einen Vorstand, bestehend aus einem Vorsitzenden, einem Schrift- führer, einem Kassier und zwei anderen Mitglie- dern.» Der «Präsident» wurde zum «Vorsitzenden» ge- macht, der «Aktuar» zum «Schriftführer», der «Quästor» zum «Kassier». Die Bezeichnungen des klassisch-altertümlichen Vorstandsvokabulariums 14
	        

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