Volltext: Probleme des Kleinstaates gestern und heute

kleinen Staate zu verstehen hat. Sie beurteilen nämlich die Größe nach der zahlenmäßigen Menge der Bürger; man muß aber nicht so sehr auf die Menge als auf ihre Bedeutung achten. Es gibt nämlich eine Aufgabe des Staates, und der Staat, der sie am ehesten zu erfüllen vermag, wird auch als der größte bezeichnet werden können, so wie man etwa den Hippokrates nicht als Mensch, sondern als Arzt größer nennen wird als jemanden, der sich an körperlicher Größe auszeichnet.» «Selbst wenn man die Zahl der Einwohner als Maßstab nehmen müßte, dürfte man nicht jede beliebige Menge nehmen (denn es muß wohl in den Staaten auch eine große Anzahl von Sklaven, Zugewanderten und Fremden geben), sondern nur so viele ein Teil des Staates sind und seine ihm zugehörigen Glie­ der bilden. Wenn ein Staat viele Bürger dieser Art besitzt, ist es ein Zeichen seiner Größe; ein anderer dagegen, der eine große Anzahl von Banausen, aber nur wenige Hopliten besitzt, kann unmöglich groß sein. Denn eine große und eine volkreiche Stadt ist nicht dasselbe.» «Die Tatsachen zeigen sogar, daß es schwierig, wenn nicht unmöglich, ist, einen allzu volkreichen Staat mit guten Gesetzen zu verwalten. Jedenfalls sehen wir keinen einzigen von den Staaten, die als gut gelten, nach einer übermäßigen Bevölkerungszahl streben.» «Dasselbe läßt sich auch theoretisch erweisen. Das Gesetz ist eine Art von Ordnung, und gute Gesetze müssen eine gute Ordnung bedeuten. Eine allzu große Zahl kann aber an der Ordnung nicht teilhaben. Denn dies wäre die Aufgabe einer göttlichen Macht, die ja nun freilich auch dieses All zusammen­ hält; im allgemeinen beruht ja die Schönheit auf der Fülle und Größe. Darum wird auch ein Staat, für den neben der Größe das genannte Maß gilt, notwen­ dig der vollkommenste sein.» «Außerdem gibt es ein bestimmtes Maß für die Größe eines Staates, wie auch für alles andere, die Tiere, Pflanzen und Werkzeuge. Auch da besitzt jedes seine Fähigkeit nur soweit es an Kleinheit wie an Größe das Maß nicht zu sehr überschreitet; denn sonst wird es bald seine eigentümliche Natur über­ haupt verlieren oder in schlechtem Zustande sein. Ein Schiff von der Länge einer Spanne ist gar kein Schiff mehr und eines von zwei Stadien auch nicht, und wenn es sonst irgendeine Größe hat, so wird es leicht wegen seiner Klein­ heit oder aber wegen seines Obermaßes fahruntauglich werden. So ist auch ein Staat mit zuwenig Einwohnern nicht autark (der Staat muß aber ein autarkes Gebilde sein), und ein allzu großer Staat ist zwar in den notwen­ digen Dingen autark, aber so wie ein Volksstamm, nicht wie ein Staat. Dann kann nicht leicht eine Verfassung Bestand haben. Denn wer wird der Feldherr eines übergroßen Heeres sein, oder wer ein Herold, wenn er nicht eine Stento- stimme besitzt?» «Darum wird es einen Staat von derjenigen Volksmenge an geben, die in der politischen Gemeinschaft autark zum vollkommenen Leben sein kann. Es kann auch einen größeren Staat geben, der ihn an Menge übertrifft, aber dies geht, wie wir sagten, nicht ins Unbegrenzte. Welche die Grenze des Zuwachses ist, ist aus den Tatsachen leicht zu entnehmen. Die politischen Funktionen ver­ teilen sich auf Regierende und Regierte. Die Aufgabe des Regierenden ist, anzu­ ordnen und zu entscheiden. Um aber richtig zu urteilen und die Ämter dem Würdigsten geben zu können, müssen die Bürger einander nach ihren Qualitäten kennen. Wo dies nicht der Fall ist, da muß es um Regierung und Rechtspre­ chung schlecht bestellt sein. Denn in beiden Punkten ist es ungerecht zu impro­ visieren, was doch bei einer Oberbevölkerung offenkundig geschieht. Auch wird es dann für Ausländer und Zugewanderte leicht, am Bürgerrecht teilzunehmen. Denn in der Masse der Bevölkerung ist es leicht, unbemerkt zu bleiben. Es ist also klar, daß dies der beste Maßstab für einen Staat ist: die höchste Zahl der Einwohner, die noch überschaubar bleibt und ein Leben in Autarkie ermöglicht. Dies sei also hinsichtlich der Größe des Staates festgelegt.» 55
	        

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