Volltext: Probleme des Kleinstaates gestern und heute

Zen-Lehre und ähnlichem, kommen. Man kann sich schwer einen größeren Gegensatz denken zwischen dem Athen des 4. vorchristli­ chen Jahrhundert mit seinem Jahrmarkt an brillanten künstlerischen und intellektuellen Ideen und Begabungen, mit seinem Handelsgeist, der Unruhe seiner Politiker und der Welt dieses alten Chinesen. Schwerlich ein größerer Gegensatz, außer wir erinnern uns an Sokra- tes. Lao-Tse ist vielleicht ein chinesischer Sokrates. Seine Methode ist das Paradox, der Kontrapunkt, die Relativierung und in diesem Sinn die Ironie. Aber Ironie ist ein abendländischer Ausdruck, worin die Distanz des Intellektuellen mitschwingt, während Lao-Tse, ebenso wie Sokrates, in Wirklichkeit von etwas anderem herkommt, vom «Daimonion», der Stimme des Göttlichen in uns oder, wie es asiatisch heißt, der Erleuchtung des Menschen als dem Ebenbild des Himmels. Hier zeigt sich uns ein Weg zu menschlicher Größe, ein Zugang zur Weisheit, wie er immer wieder versucht wurde, am naheliegendsten vielleicht im «Buch der Weisheit». Von Sokrates besitzen wir nichts Schriftliches. Die Weisheitslehre Salomons ist in erster Linie religiös formuliert. Lao-Tse geht von einer ähnlich tiefen Erfahrung aus, aber beschreibt deutlicher das Wirken des Menschen, der erleuchtet regiert. Lao-Tse ist bei uns oft mißverstanden worden, als ein Lyriker, als Buddhist, als Vertreter Asiens, dem der Realismus, die Auseinander­ setzung mit der materiellen Welt nicht lag, als sentimentaler, rück­ wärtsgewandter Verkünder eines idyllischen Zeitalters, einem kleinen Paradiese, das auf dieser Erde eben nicht möglich ist. Und diesen Eindruck erhält man leicht, etwa wenn man folgende Zeilen liest: LXXX «Das Land sei klein, das Volk wenig, lasse es Beamte für zehn und hundert Menschen haben und nicht gebrauchen. Lasse das Volk den Tod schwer nehmen und nicht in die Ferne ziehen. Obschon es Schiffe und Wagen habe, nicht habe es Anlaß, sie zu besteigen. Obschon es Panzer und Waffen habe, nicht habe es Anlaß, sie anzulegen. Lasse das Volk wieder Schnüre knoten und sie gebrauchen. Süß sei ihm seine Speise, schön seine Kleidung, 13
	        

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