II. Das Machtverhältnis Liechtensteins zur Schweiz515 Es bedarf keiner besonderen Erörterungen, daß das Fürstentum ge genüber der Schweiz ein Machtdefizit aufweist. Diese Feststellung kann aber noch differenziert werden, wenn der Betrachtung die vier Bezugskategorien Beziehungsmacht, Beziehungsraum, Beziehungs dichte und Beziehungsart zugrunde gelegt werden. 1. Beziehungsmacht516 Wenn unter «Macht» im Verhältnis zweier Staaten die Fähigkeit verstanden wird, dem einen durch den andern den Willen aufzu zwingen, so ergibt sich, daß im Rahmen der zwischen der Schweiz und Liechtenstein abgeschlossenen Verträge die Schweiz über ein be trächtliches offensives Machtpotential verfügt. Diesem ist Liechten stein aber nicht wehrlos ausgeliefert. Die Möglichkeit der kurzfristi gen Kündigung aller Verträge verhilft ihm zu einer gegenüber der Schweiz beachtlichen defensiven Macht: Liechtenstein verfügt über die Fähigkeit, sich der offensiven Macht zu widersetzen. Beim Ver gleich beider Potentiale ist zu berücksichtigen, daß eine Kündigungs möglichkeit rechtlich vorbehaltlos besteht; in tatsächlicher Hinsicht würden sich indessen wohl besondere Schwierigkeiten ergeben. Hin zu kommt, daß als alternativer Partner für eine ähnliche Ausrich tung, wie sie heute gegenüber der Schweiz besteht, höchstens Öster reich als zweites Nachbarland in Frage kommt. Dem stehen aber Hindernisse wie die historische Entwicklung und die Vorliebe der Bevölkerung517 entgegen. Von einem Gleichgewicht der Beziehungs macht kann daher nicht gesprochen werden; vielmehr überwiegt die faktische Abhängigkeit Liechtensteins von der Schweiz. 515 Die nachfolgenden Überlegungen schließen sich an die Ausführungen bei Riklin, Konzeption 8 ff., an. 516 Vgl. Riklin, Konzeption 8 ff. 817 81 °/o der Stimmberechtigten ziehen die Anlehnung Liechtensteins an die Schweiz jeder anderen Ausrichtung vor und nur 1 %> würde die Anlehnung an Österreich bevorzugen; Gyger/Kranz/Niedermann 137, 194 ff. 155