Volltext: Das Fürstentum Liechtenstein und die Europäische Gemeinschaft

stufe des Gemeinsamen Marktes geht der Kompetenzverlust der beteiligten Staaten weiter als die neugeschaffenen Kompetenzen der Gemeinschaft.27 Mit fortschreitender Integration soll diese Diskre­ panz zwischen Interdependenz- und Organisiertheitsgrad ausgegli­ chen werden. Mehrere Wege stehen dazu offen: Der 
föderalistische Weg, das heißt die Schaffung eines Bundesstaates, der als höhere Ein­ heit alle Gliedeinheiten umfaßt und als neuer Träger der Kompetenz- Kompetenz ins Schema der klassischen Souveränitätsdoktrin hinein­ paßt; der 
konföderalistische Weg, der sich von der Föderation da­ durch unterscheidet, daß keine Souveränitätsübertragung auf eine höhere Einheit, sondern ein Zusammenlegen von Kompetenzen statt­ findet; sowie der 
funktionalistische Weg, den David Mitrany28 fol­ gendermaßen umschreibt: «The functional approach seeks, by linking authority to a specific activity, to break away from the traditional link between authority and a definite territory.» Aller Wahrscheinlichkeit nach wird in Westeuropa eine Kombination zwischen dem zweiten und dem dritten Weg beschritten werden. Man könnte gar den Standpunkt vertreten, diese Kombination bilde die Originalität des europäischen Zusammenschlusses. Das Integra­ tionsphänomen, das vorher auf nationaler Ebene aufgetreten ist, er­ reicht nach Petersmann nun eine höhere, transnationale Ebene. «Da das Prinzip der Integration gerade die partielle Übertragung des souveränen nationalen Ausschließlichkeitsanspruchs auf Institutionen ins Auge faßt, die oberhalb der nationalen Integrationsstufe liegen, kann in diesem gesamten Vorgang keine Aufhebung der eigentlichen Bestimmung der Nation, sondern im Gegenteil die vollständige Ver­ wirklichung ihres Wesens durch ihre Einfügung in eine ihren Bestand gewährleistende Ordnung erblickt werden.»29 Es ist die feste Absicht der führenden europäischen Staatsmänner30, daß die Integration nicht zur Entnationalisierung der beteiligten Staaten führen darf. Ziel ist nicht die Schaffung einer neuen europäischen Nation auf Kosten der beteiligten Staaten, sondern die Konstruktion eines über der natio­ 27 Vgl. Bindschedler, Betrachtungen über die Souveränität (Anm. 14), S. 180. Die gleiche Meinung vertreten u. a. Hallstein W., Zu den Grundlagen und Ver­ fassungsprinzipien der Europäischen Gemeinschaften, in: Festschrift Ophüls, Karlsruhe 1965, S. 15 sowie Koppensteiner (Anm. 5), S. 70. 28 Mitrany D., A working Peace System, Chicago 1966, S. 27. Vgl. zu den ver­ schiedenen Integrationswegen besonders auch Harrison R. J., Europe in Ques- tion, Theories of Regional International Integration, London 1974. 29 Petersmann (Anm. 23), S. 122. 30 Vgl. z. B. Die Stellungnahme des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Brandt, in: Frankfurter Rundschau, 19. Februar 1971 oder die Haltung des früheren französischen Präsidenten Pompidou, in: Le Monde, 23. Januar 1971. Wie Petersmann betont, trifft diese Grundhaltung noch in vermehrtem Ausmaß für Großbritannien zu; vgl. Petersmann (Anm. 23), S. 322. 152
	        

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