Volltext: Beiträge zum liechtensteinischen Selbstverständnis

hagen, denn sie erscheinen dem unbefangenen Leser oft eher wie eine Prozeßakte. Sie konzentrieren sich auf die lokalen Vorkommnisse. Wenn es aber um wirtschaftliche Fragen Südamerikas, um Apartheid, um politische Hinrichtungen, um Krieg, soziale Spannungen oder um die Anerkennung von Staaten geht, fehlt die Stellungnahme, es fehlt die liechtensteinische Meinung, es fehlt unser Engagement. Jürg Federspiel meinte, man dürfe Hofnarr des Königs sein, jedoch nicht Narr des Volkes. Die Zeitungen sind «Narren des Volkes». Die Chance wird verpaßt, die Chance der Zeitung zur konstruktiven Meinungs­ bildung nach innen, zum Botschafter des Landes nach außen. Persön­ lichkeit entsteht durch Ausdruck; unserem Staat fehlt das Radio als Stimme, die Zeitung als Sprache; ein Volk im Zeitalter der Medien ohne Kommunikation. Wer hier eine Frage hört, fürchtet die Antwort. Liechtenstein er­ mangelt das engagierte Medium, die engagierte Zeitung, weil den Bürgern des Landes das Engagement fehlt. Der Bazillus dieser Krankheit scheint nicht nur in satten Mägen und weichen Kissen zu liegen, sondern auch im politischen System. Unsere Regierungsform, je wie es der Zusammenhang erfordert Koalition, Mitarbeit auf Zeit oder Co-Opposition genannt, wird als Ursache für die ruhigen, ausgeglichenen und stabilen Verhältnisse in unserem Land gelobt. Sie ist aber ebenso eine Art der kultivierten Onanie. Sie führte zu einer Verwässerung der Ideologie der Parteien, zu Undurch- sichtigkeit der Verantwortung, zu farblosen politischen Alternativen, sie erschwert die sachliche Auseinandersetzung und verunmöglicht daher weitgehend die intensive Reibung und Spannung, die Fort­ schritt garantieren würde. Gerade die echte und ernsthafte Unruhe aber müßte als Voraussetzung für die produktive Aktivierung der Kräfte bezeichnet werden, während der geheiligte liechtensteinische Friede und die gelobte Ruhe lähmende Trägheit in sich schließt. Damit führt das Thema zurück zum Ausgangspunkt, zur Formung von Persönlichkeit durch Engagement in allen Bereichen des Lebens, Erweiterung des Horizontes über den Schweizer Franken zu Huma­ nität in ihrem breitesten Spektrum. Wenn dies bis heute nicht möglich war, so muß als eine der Ursachen die Bildungspolitik zumindest gestreift werden. Sie konzentriert sich bei uns auf Arbeitskräfte und weniger auf Menschen. Der Sprung von der Ausbildung zur Bildung sollte gelingen. Der Mensch sollte nicht nur mit Fähigkeiten programmiert werden, mit denen sich Geld verdienen läßt, sondern es müßte ihm das Spektrum der Kunst, Literatur, der Geisteswissenschaft eröffnet werden. Dies würde ihn befreien aus der inneren Leere und Armut. Denn was hier kritisch 58
	        

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