Volltext: Beiträge zur liechtensteinischen Staatspolitik

Fall war. Der «plenipotentiaire» — also der mit voller Vertretungs­ gewalt ausgestattete — als der sich der diplomatische Vertreter ver­ gangener Zeiten wirklich fühlen durfte, weil der Kontakt zu seiner Regierung oft Monate lang unterbrochen war, ist heute in vieler Hin- sicht zum Briefträger seiner Auftraggeber abgesunken. Damit sei selbstverständlich die immer noch vorhandene Bedeutung diplomati­ scher Vertreter auf anderen Gebieten nicht in Zweifel gezogen; eine gewisse Relativierung läßt sich aber wohl doch nicht abstreiten. Diese Bedeutungsverlagerung des diplomatischen Verkehrs hat es mit sich gebracht, daß sozusagen alle Territorien, auch die kleinsten, ohne Verzug mit jedem anderen Territorium in der Welt unmittelbaren Kontakt aufnehmen können. Diese Tatsache wirft die Frage auf, ob die sogenannte Staaten­ verkehrsfähigkeit tatsächlich noch ein brauchbares Kriterium ist, nachdem es sich dermaßen relativieren läßt. Allerdings setzt das Vor­ handensein technischer Möglichkeiten der Verkehrsaufnahme noch nicht zwingend die Existenz verantwortlicher Behörden voraus. Dieses Erfordernis wird aber durch das bereits besprochene Kriterium der Staatsgewalt gedeckt. Das letzte Staatskriterium, welches wir hier kurz besprechen wollen, ist das erst in letzter Zeit in diesem Zusammenhang in die Diskussion geworfene 
Staatsbewußtsein. Gerade in Liechtenstein wird sich unter diesem Begriff heute sozusagen jedes Schulkind irgend etwas vor­ stellen, nachdem den Liechtensteinern während der letzten andert­ halb Jahre vom Fürst über den Regierungschef bis zum Landtags­ präsidenten und anderen Honoratioren immer wieder dringend emp­ fohlen worden ist, anstelle der Privat- und Gemeindeinteressen doch endlich einmal ein Staatsbewußtsein zu entwickeln und in den Vor­ dergrund zu stellen. Solche Mahnungen dürfen nicht in den Wind geschlagen werden. In dieser Konzentration vorgetragen, lassen sie den unbeteiligten Ausländer jedenfalls vermuten, daß in dieser Be­ ziehung offenbar in Liechtenstein nicht alles zum besten bestellt ist. Anderseits wird man sich fragen müssen, was denn unter Staats­ bewußtsein eigentlich zu verstehen sei. Zwischen Staatsbewußtsein und Staatsvolk besteht ein enger Zu­ sammenhang, indem das Volk als physisches, das Staatsbewußtsein eher als gedanklich-ethisches Substrat des Staates verstanden werden kann. Das Staatsbewußtsein wäre die Klammer zwischen Volk einer­ seits und Staatsgewalt anderseits. Es setzt eine gewisse Identifikation des Staatsvolkes mit seinem Staat und gleichzeitig ein Gemeinschafts­ gefühl voraus. Ohne Identität verliert der Staat tatsächlich seine Exi­ stenzgrundlage, er kann nicht nur von außen, er 
muß vor allem von 84
	        

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