Volltext: Beiträge zur liechtensteinischen Staatspolitik

republik (und den betroffenen Berlinern) vorgespiegelt werden sollte, es bleibe praktisch alles beim alten: Berlin werde ein assoziiertes Bundesland, wie eben Liechtenstein der 23. Kanton der Schweiz sei! Und es nahm Wunder, als ein so renommierter Völkerrechtler wie der Bochumer Universitätsprofessor Ingo von Münch in einem Interview mit dem Magazin «Stern» (Nr. 45/70) Liechtenstein als «Gebilde» bezeichnete, «das Schweizer Gesetze übernimmt». Damals drängte sich der Verdacht auf, daß die Unterhändler der DDR besser als manche westdeutschen Völkerrechtler und Politiker wußten, was Liechtenstein ist: ein souveräner Staat. Eben sie stellten damit eine Forderung, die weit über die Anerkennung West-Berlins als «selbständige politische Einheit» hinausginge. Eben weil man in der Bundesrepublik weithin nicht wußte, daß Liechtenstein jederzeit mit fünfjähriger Frist seine sämtlichen Verträge mit der Schweiz kündigen kann — darum hätte man bei Annahme eines solchen «Modells» friedlich in Kauf genommen, daß West-Berlin in ähnlicher Frist alle Beziehungen zur Bundesrepublik lösen könnte! Nun sind die Folgen dieser Unkenntnis zum Glück noch einmal ver­ hindert worden. Aber es ist doch bezeichnend, daß die Vorstellungen von unselbständigen politischen «Anhängseln», «Nebenländern», oder gar Protektoraten so hartnäckig mit dem deutschen Liechtenstein- Image verbunden sind. Die Unlust, sich näher mit dem politischen Status Liechtensteins zu befassen, ist tiefer begründet. Sie beruht auf der gerade in Deutsch­ land verbreiteten Meinung, daß in einem vereinten Europa Zwerg­ staaten keine Existenzberechtigung mehr hätten, und daß die politische Integration unseres Kontinents ohnehin die baldige Auf­ gabe der liechtensteinischen Souveränität fordere. Jedoch: vor der stürmischen, allzu naiven Begeisterung für Paneuropa, das mehr wäre als ein «Europa der Vaterländer», kann — in Deutschland wie in Liechtenstein — nicht genug gewarnt werden. Wenn hier einmal Lösungen gefunden werden, so müssen sie von großen wie von kleinen Partnerstaaten einer künftigen politischen Gemeinschaft gleichzeitig vollzogen werden — es besteht nicht der geringste Anlaß, von Klein­ staaten eine «Vorgabe» nur deshalb zu verlangen, weil sie eben klein sind. In einer Zeit, die in vielen Teilen der Welt einen Aufbruch des Nationalgedankens wie selten zuvor erlebt, sind Liechtenstein wie Deutschland schwierige Vaterländer. Keine Nation zu bilden, Sitz des schlechten Gewissens zu sein, eingekeilt zwischen Lächerlichkeit und massivem Vorwurf, von den Großen gezählt, bemessen und ver­ gessen zu werden, als «Mikrostaat» einem Völkerrecht zweiter Klasse 68
	        

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