Volltext: Beiträge zur liechtensteinischen Staatspolitik

interessant und dadurch eine Seltenheit» geworden95). Von Bedeutung ist — so gering auch der Anteil am Sozialprodukt sein mag — daß die liechtensteinische Agrarwirtschaft nach wie vor den Schutz unserer Zollunion genießt. Aber im ganzen gesehen wird der west­ europäisch multilateral erschlossene Markt noch dominanter werden. Mit der Öffnung der Schweiz von innen her gerät auch Liechtenstein in die multilaterale Auseinandersetzung. Aber nicht nur dadurch, auch von außen her ist ein korrespondierender Öffnungsprozeß im Gange. Eine große Unruhe hat seit den Weltkriegen, besonders seit dem letzten Krieg mit der Erfahrung der schicksalshaften Verbunden­ heit der Menschen, die ehemals eher statische Völkergemeinschaft erfaßt. Eine ungeheure Dynamik löst die Staaten aus ihren herkömm­ lichen Strukturen, regional und global, und treibt sie, irgendwie geschichtlicher Logik folgend, auf eine Welt zu. Galt in der frü­ heren internationalen Ordnung ein Staat einfach durch sein Dasein, sozusagen in seiner bloßen individuellen Existenz ruhend, und war er gewissermaßen frei, Außenbeziehungen anzuknüpfen und bilateral auszuwählen, so steht jeder Staat heute im Zwang multilateraler Ver­ flechtung in einer Zeit der Interdependenz und zunehmender Inte­ gration, in der die Staaten ihre Stellung umformulieren und neu defi­ nieren müssen. Und es gehört, im Gegensatz zum relativ freien Bi­ lateralismus, zur besonderen Eigenart des Multilateralismus, daß dieser vielfach eine Art aktiven Kontrahierungszwang, einen Präsenz­ druck erzeugt. Der Multilateralismus tendiert regional zur Vollstän­ digkeit und weltweit zur Universalität, ja auch zur Exklusivität. Wer nicht mitmacht, erleidet Nachteile: wirtschaftliche, politische oder andere, der ganz kleine Staat auch souveränitätspolitische. War in einer Völkerrechtsordnung individueller staatlicher Existenzen irgend­ wie auch der kleine Staat in seiner Souveränität geschützt, so wird es im multilateralen Zusammenschluß auf die Dauer folgenschwer, als Staat nicht dabei oder gar nicht akzeptiert zu sein, dort wo alle Staaten versammelt sind, sei es in regionalen Organisationen oder in globalen wie der UNO. Wer nicht mehr zur nun multilateralen, formierten Gesellschaft der Staaten, in seiner Region oder global, gehört, ist eben mit der Zeit weniger als ein Staat. Mag es in solcher multilateraler Lage für die größeren heißen: les absents ont tort, so könnte für die ganz Kleinen eines Tages gelten: les absents sont morts. Auch im Völkerrecht der multilateralen Ära wird dies auf die lange 95) Hans Christoph Binswanger und Hans Manfred Mayrzedt, Europapolitik der Rest-EFTA- Staaten, Zürich-Wien 1972, S. 96 f. 40
	        

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